Natürlich wünscht man sich immer einfach eine Runde zu schlafen und nach
dem Aufwachen haben sich alle Probleme von selbst gelöst. Seltsamerweise
scheinen einige Menschen auch durchaus dazu bereit einem solchen Märchen zu
glauben. Natürlich wäre es super, wenn die Barbekanntschaft der letzten Nacht
nüchtern betrachtet immer noch die tollste Frau der Welt wäre, natürlich
wäre es traumhaft, wenn die Heinzelmännchen die verschlafene Zeit genutzt
hätten um die Wohnung auf Vordermann zu bringen und vielleicht auch noch die
Steuererklärung abzugeben und natürlich könnte man in der Zwischenzeit
endlich den langersehnten sechser im Lotto haben – aber von all diesen Dingen
ist der sechser im Lotto noch das wahrscheinlichste
Ich wachte nach mindestens zwölf Stunden tiefen, traumlosen aber immerhin
erholsamen Schlafes auf, doch es hatte sich nichts verändert. Es war immer noch
genauso seltsam, genauso unbegreiflich und ich fühlte mich immer noch reif für
die Klapsmühle.
Doch jetzt drückte mich erst einmal ein völlig natürliches Bedürfnis
– ich musste auf Toilette. Vermutlich war das auch der Grund warum ich wach
geworden war. Im ersten Anlauf versagte ich an der Schlafzimmertür – sie ging
plötzlich nach außen auf. Demzufolge musste ich an der Badtüre ziehen anstatt
zu drücken. (Was funktionierte) So ganz konnte ich mir noch keinen Reim auf
diese INVERTIERUNG machen, denn sie schien nicht alles vollständig zu
betreffen. Im Spiegel sah ich allerdings völlig INVERS aus – wie ein Negativ.
Wenn ich allerdings an mir selbst heruntersah, dann war alles in Ordnung. Meine
Haut hatte eine völlig normale natürliche Farbe. Auch die Klamotten, welche
ich gestern getragen hatte sahen absolut normal aus. Alles in allem bedeutete
das aber nur, dass sie wie auch ich eigentlich gar nichts in dieser Welt
verloren hatten. Nur war mir absolut schleierhaft, wie ich hier hergeraten war.
Nach dem Bad versuchte ich es in der Küche und belegte ein dunkelgraues
Weißbrot mit braunem Käse. Nach dem ersten Bissen würgte ich denselben wieder
hoch und verwarf die Idee eines gemütlichen Frühstücks. Stattdessen begnügte
ich mich mit einem Raider, welches ich noch in meinem Aktenkoffer hatte und das
– wie auch der Koffer und sein Inhalt – völlig normal schienen, denn ich
hatte ihn ja gestern Abend "mitimportiert". Ich begann also erst
einmal damit meine Umgebung zu erforschen und wollte versuchen sie zu verstehen.
Ein Blick aus dem Fenster zum Beispiel gab mir Aufschluss über mein Auto – es
war noch genauso rot wie gestern und gehörte also zu mir. Als nächstes fielen
mir die Uhren auf. Ihre Ziffernblätter waren INVERS und sie liefen falsch
herum. Falsch herum bedeutete soviel wie – es wurde früher, nicht später.
Trotzdem erschien mir das eher als ein Kuriosum – bis ich meine Ex-Freundin
zur Tür hereinkommen hörte. Als ich zur Tür ging bemerkte ich zwei Dinge, die
mir erst jetzt einen Sinn zu machen schienen – erstens, sie war selbst INVERS
und zweitens, sie schien mich nicht einmal wahrzunehmen. Nachdem sie mich
morgens verlassen hatte war sie also nachdem ich mich auf den Weg zur Arbeit
gemacht hatte noch einmal gekommen um Ihre Sachen zu holen. Ich war jetzt in der
sicherlich einmaligen Situation mit ansehen zu können, wie sie Ihre Sachen nun
wieder in der Wohnung verstaute. So etwas hatte ich mir in meinen verrücktesten
Träumen nicht ausmalen können – ich sah als reiner Beobachter dabei zu, wie
sich das Leben rückwärts abwickelte, ein Teil meines eigenen Lebens. Ich sah
wie meine Ex-Freundin telefonierte bevor sie die Wohnung wieder verließ und
notierte die Nummer, auch ohne Vergleich schien sie mir sehr bekannt. ISDN
Telefone können eine echte Hilfe sein. Die Nummer schien mir aber auch INVERS
zu sein, also schlug ich in unserem Telefonregister nach – es war die Nummer
meines Chef’s. Ich behielt die Uhr im Auge – wenn ich mich recht erinnerte,
dann hatte ich vor 45 Minuten das Haus verlassen, bzw. mein INVERSES ICH würde
in 45 Minuten in die Wohnung kommen. Je aufgeregter ich war umso langsamer
vergingen die Minuten. Doch dann trat ich völlig deprimiert und INVERS ein. Ich
konnte alles noch einmal aus einer fantastischen unmenschlichen Perspektive
heraus beobachten. Einige Stunden früher oder später – wie sie wollen -
wusste ich eine ganze Menge mehr über mich, meine Ex-Freundin, diverse nähere
Bekannte und Freunde als ich vorher jemals für nötig gehalten hätte. Meine
größte Frage wurde nun aber eine ganz andere – wie komme ich wieder in mein
eigenes reellen Leben hinein ?? Nach längerem Grübeln und einem Blick auf
meine Armbanduhr glaubte ich die Antwort zu wissen. Es war riskant, doch was
hatte ich schon noch zu verlieren ??
Gegen 19:00 positionierte ich mich mit meinem Fahrzeug ca. 40 Meter vor
dem Ortsschild. Ich wartete, bis ich mich auf der Landstraße kommen sah –
meine Nerven waren mittlerweile bis zum bersten gespannt – was wenn es der
falsche Weg war ?? Doch ich saß sehr real in meinem sehr realen roten Auto und
wollte mein Leben zurück – also gab ich Vollgas.
Ich traf mich selbst genau in Höhe des Ortsschildes – für einen kurzen
Moment fühlte ich mich schwerelos – doch es gab keinen Crash, keinen lauten
Knall, kein Bersten von Glas und Metal. Eine Sekunde später gab es wieder nur
mich, sehr real in meinem sehr realen roten Auto auf dem Heimweg durch einen
glücklicherweise wieder sehr realen Ort und ich wusste alles.
Nein, die Welt ist nicht perfekt und ich hatte auch keine perfekte Lösung
gefunden – aber ich würde den Reifen morgen früh gleich beim Reifendienst
wechseln lassen, dem Kaugummi ausweichen und auf meinen Morgenkaffee verzichten.
Meine Freundin wollte ich nicht zurück, doch allein mein Wissen würde diese
niederschmetternde Szene morgen früh ganz anders ablaufen lassen und mein Chef
würde sicher noch vor meinem Eintreffen in der Firma davon erfahren.......