Wir haben den vermeintlichen Untergang der Schallplatte im
Kampf gegen die CD erlebt und uns nach der CD direkt mit der kompakt
komprimierten digitalen Version von Musik in die MP3 Welt begeben und diese
bereitwillig kostengünstigen Verteildiensten überlassen. Get what you want wherever you want
and whenever you want - > One touch music!
Und dann passiert das unglaubliche, die Schallplatte ist gar
nicht tot, sie lugt aus dem Regal und raunt “Spiel mich!”.
Sie sagt: „Erinnerst Du Dich noch wie es sich angehört UND
angefühlt hat als Du mich das erste Mal aufgelegt hast?“
Dir fällt auf das Du immer noch genau weißt welche Titel in
welcher Reihenfolge auf der Platte waren und welches Deine Lieblingsstücke
waren.
Hier scheiden sich jetzt die Geister – die Unromantischen
stellen fest dass Sie keinen Plattenspieler mehr haben und stellen die Platten
als „einmalige“ Sammlung in EBAY ein.
Die anderen stauben Ihren Plattenspieler ab, prüfen den
Diamanten und legen die Platte auf.
Und es rockt! Ja es knistert ein bisschen auf der
Einlaufrille, das ist sogar bei nagelneuen Platten so, aber das ist
vergessen sobald die ersten Grooves erklingen. Und es fühlt sich an wie früher.
Warum fühlt es sich an? Was passiert hier? Selbstbetrug? Einbildung?
Nein, simple modulierte Physik pur. Rillen, Schwingungen und
Schallwandler. Boxen und Bewegung.
Und das ein Plug mich zwar hören aber nicht fühlen lässt ist
ja wohl nachvollziehbar. Plattenspieler und Kopfhörer? Nur im Notfall!
Die frühen 90‘er waren das perfekte Schlachtfeld für die CD
denn bei Techno und Tekkno war es egal ob das Signal digital oder analog an die
Boxen ging. Je digitaler der Eingang umso weniger Unterschied machte es.
Keyboards, Sequencer und digitales Schlagzeug bestimmten die Musik.
Jetzt sind wir älter geworden, die Werte ändern sich und wir
wollen wieder Musik hören, Zeit haben und verdammt noch mal wir wollen Musik
auch wieder fühlen. Das geht in der Oper und auf einem guten Live Konzert –
oder eben auch zu Hause.
Die Platten haben die letzten 40 Jahre bei guter Lagerung
unbeschadet überstanden und Ihnen ist langweilig.
Schallplatten zwingen uns außerdem dazu uns Zeit für sie zu
nehmen. Man muss sie auflegen, abstauben, umdrehen und man kann sie nicht
unterwegs oder im Auto hören. Dabei hat man auch gleich Zeit für das
Plattencover und das Inlay das in den meisten Fällen die Liedtexte enthielt.
Jetzt sind wir in einer Umbruchsphase. Eigentlich hatten
alle großen Hersteller von Plattenspielern das Geschäftsfeld vollständig
aufgegeben oder auf ein Minimum reduziert. Ausnahme sind wenige High End
Anbieter die jenseits der 10.000 € weiterhin limitierte Auflagen optisch
interessanter Konstruktionen zum Abspielen von Schallplatten herstellen. Doch
wir erinnern uns kurz: Das hohe Zeitalter der Schallplattenspieler lag zwischen
Ende der siebziger und Anfang der 90er Jahre. Da gab es noch eine Mittelklasse.
Also unter 200 DM war es Billigschrott, die Mittelklasse lag zwischen 200 und
600 DM und die Oberklasse begann bei diesen 600 DM und endete irgendwo undefinierbar
bei ca. 2000 DM wo es dann fließend in den so genannten High End Bereich
überging. High End ist übrigens kein wirklicher Zustand sondern eher so ein
Begriff für „Für normale Menschen nicht bezahlbar“. Sicherlich gab es im High
End Bereich auch das ein oder andere technisch ausgetüftelte Juwel das
klanglich überzeugen konnte aber man muss ganz klar sagen das es hier um
Prestigeobjekte für Menschen mit zu viel Geld ging und damit spielen sie in
einer Liga mit Porsche und Gucci. Lassen wir das Philosophieren (Reibrad,
Riemen oder Direktantrieb) und die Esoterik (Glas und Plexiglas dämpfen besser
als Holz oder speziell entwickelte Verbundmaterialien) beiseite muss das Gerät
in der Lage sein die Musik weitestgehend unverzerrt und klar über die
Gesamtstrecke an die Ohren des Zuhörers zu bringen und dafür reichten Produkte
der Mittelklasse und Oberklasse auf jeden Fall aus.
(Schöner Artikel zum High-End Wahn auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Stereoanlage#High-End)
Wer einen Plattenspieler in diesem Bereich sucht ist aber
heute fast auf ebay angewiesen. Dort ist allerdings mit Faszination
festzustellen das alle, die in Ihrem Keller oder auf Ihrem Dachboden einen
Plattenspieler mit Deckel gefunden haben bei dem nach einstecken des Steckers
noch ein Licht angeht, diesen automatisch dem High End Bereich zurechnen.
(Geil, der dreht sich noch nach 30 Jahren – muss bestimmt mal High End gewesen
sein, jedenfalls lag er ganz oben auf dem Schrank)
Also – lesen und lernen hat den Menschen noch nie geschadet
und auf Vinylengine.com findet man dann auch für fast jeden Plattenspieler eine
realistische Einschätzung zu welcher Spezies er denn mal gehörte. Bleibt noch
zu bedenken, dass Plattenspieler auch nach 30 Jahren nicht besser werden und
Plastik Weichmacher enthält die nach 30 Jahren schon ziemlich flüchtig sind.
Wer aber ein Model mit echter Mechanik in einem Holz-,
Aluminium-,Metall-, oder dem erwähnten speziell entwickelten Antiresonanzverbundgehäusen
wählt und ein bisschen technisches Verständnis mitbringt kann durchaus mit
Reinigung und frischem Öl noch weitere 30 Jahre Spaß damit haben.
Die wenigsten aktuellen Endstufen haben heute noch einen
Phoneingang und selbst wenn es den besagten Eingang gibt ist oftmals keine
Diversifizierung zu den unterschiedlichen Abtastsystemen möglich. Also sollte
man sich neben einem Plattenspieler auch einen Vorverstärker gönnen der
zumindest im gleichen Qualitätsspektrum wie der Plattenspieler selbst liegt.
Von Geräten unter 50€ sollte man meistens die Finger lassen. Der Diamant spielt
natürlich auch eine Rolle, hier ist es beruhigend das alte Qualitätsträger wie
Ortofon und Audio Technika weiterhin die gesamte Bandbreite mit Ihren Systemen
abdecken und sich jeder den für seine Komponenten passenden Diamanten besorgen
kann.
Die Welt dreht sich weiter und wenn ein Trend groß genug
geworden ist um finanziell von Interesse zu sein dann finden sich auch wieder
Hersteller die sich auf Ihre Vergangenheit besinnen und ja schon Jahrzehnte
Erfahrung im Bau von Plattenspielern besitzen und deswegen jetzt auch wieder
neue Geräte anbieten. (http://www.technics.com/de/introduction/hifi-direct-drive-turntable-system-sl-1200gae/)
Nachdem ich in den letzten Wochen diverse Zeitschriften in
Händen hatte die sich mit dem Thema Schallplatten und deren Herstellung sowie
den zugehörigen technischen Komponenten beschäftigen wurde ich nur weiter in
dem Gefühl bestärkt das hier künstlich ein Trend gehypt wird um dem Thema
High-End neuen Wind einzuhauchen.
Aber abgesehen von dieser überzogenen Realität – ist die
Platte besser als die CD?
Das kann man so gar nicht beantworten und es ist vielleicht
auch keine sinnvolle Frage. In den letzten 30 Jahren hat sich noch vieles
andere weiterentwickelt. Während die digitalen Produktionssysteme mir oftmals
in den Ohren schmerzen ist die Mikrofontechnik in Bereiche vorgedrungen die man
so vielleicht nicht für möglich gehalten hätte.
Ich beende diesen sicherlich nicht besonders witzigen, weil
zu ernst gemeinten Artikel mit der simplen Empfehlung -> Du hast noch einen
Schallplattenspieler oder weißt wo er steht?